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Ankuhner Charakterköpfe

Von den Scharfrichtern aus dem Ankuhn

Helmut Hehne, Zerbst

1. Johann Kahlo

Wenn wir im Jahre 2013 in der kleinen Vorstadt Ankuhn ein 800 jähriges Bestehen feiern, dann müssen wir auch an einen 220 Jahre alten Gedenktag erinnern. Denn der „Scharfrichter Kahlo“ verstarb am 21. Mai 1793 im Alter von 66 Jahren.

Johann Kahlo hat aber nicht im Anhaltland als ein bestellter und besoldeter Scharfrichter oder „Nachrichter“ gelebt, seine eigentliche Heimat jedoch war immer der Ankuhn, obwohl er nur die letzten vier Lebensjahre hier verbracht hatte. Seine Eltern sind von Halle zum Ankuhn verzogen, so hatte Johann Kahlo hier seinen Jugendjahre verbracht.

Die letzte Hinrichtung in Zerbst und im Ankuhn durch das Schwert fand im Jahre 1822 statt. Der Raubmörder August Lutter wurde auf einem leeren Feld vor dem Heidetor vollzogen. Bei der Pulspforder Straße unmittelbar hinter der links liegenden ehemaligen Müllkippe liegt heute noch sichtbar auf einer kleinen Anhöhe, der Galgenberg. Wie aber nun die kleine Vorstadt Ankuhn dazu kam, den Scharfrichter hier wohnen zu lassen, erfahren wir aus seinem Grabstein, der heute in den Kirchenmauern von St. Marien aufbewahrt wird.

Der in Sandstein gehauene Text lautet: Hier ruhen im Herrn und warten des Rufs zum frohen Wiedersehn die Gebeine des weil. Wohlachtbaren Herrn Johan Kahlos gewesener Scharf- und Nachrichter zu Wilno im Großherzogtum Litthauen. Er wurde 1726 den 4. Februar zu Halle von christlichen Eltern: Herrn Hermann Kahlo, Bürger und Einwohners alhier und Frau Anna Sophie geb. Schützen, deren Gebeine auch hier begraben liegen, geboren und auferzogen. Er ging als Scharfrichtergesell in die Fremde und hat laut Attentat im Königlich Preußischem Hauptamte Schaaken (heute Amtsbezirk Schaaken, im Landkreis Königsberg/ Samland ) einen Missetäter durch das Schwert mit vieler Aprobation (Zulassungen) hingerichtet.

Er wurde 1750 nach Wilno als Scharfrichter berufen, wo er laut des dasigem Magistrate ihm erteilten Testimonie sein Amt 38 Jahre lang mit aller Treue verwaltet und 195 Exekutionen mit dem Schwerte cum Aprobatine (Anerkennung, Billigung) ausgeführt hat. Er verheiratete sich mit Frau Sophie Margarethe verwitweten Schulzin, mit der er 32 Jahre in der Ehe gelebt, aber keine Kinder gezeuget hat und die 1783 gestorben ist.

Anno 1789 den 24. September ging er freiwillig in sein Vaterland zurück und langte den 21 Oktober alhier an, wo er 1793 den21sten May nach sechswöchentlicher Krankheit im Alter von 66 Jahren, 8 Monaten, 2 Wochen und 3 Tagen verstorben ist.

Kahlo selbst hat also nie für das Anhaltland tätig. Lediglich seinen letzten 4 Lebensjahre hat er im Ankuhn verbracht, was er als seine Heimat betrachtete, denn es waren hier seine Jugendjahre.

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2. Gottfried Israel Bolze

Ein weiterer Scharf- oder Nachrichter im Ankuhn ist Gottfried Israel Bolze. Grundsätzlich gehörte der Scharf- oder Nachrichter zu den „unehrenbaren“ Berufen, so auch im Ankuhn. Denn Bolze wohnte außerhalb der schützenden Wälle des Ankuhn. Meisten betrieben sie noch eine Abdeckerei, auch früher genannt „Kavillereibetrieb“. Auch der Ankuhn seit jeher eine Abdeckerei, bereits 1866 erhielt ein Bürger Schley eine Konzession zum Führen dieses Unternehmens.

Lange vorher hatte ein Ankuhner Anwohner, nämlich Bolze, ein solches Unternehmen, dessen Name uns Sitz bis heute festgeschrieben ist, die „Bolzengasse“. Er hat vom Jahre 1682 bis 1755 im Ankuhn gelebt.

Auch führte der „Nachrichter Bolze“ einen Streit in Hinsicht der anhaltischen Landesteilung. Er wollte sein privilegiertes Recht weiter gesichert wissen.

Sein Grabmal, was ebenfalls in der Kirche St. Marien aufbewahrt wird, wurde von seinen drei Söhnen auf dem Friedhof Ankuhn errichtet.

Auf alle Fälle dürfen die Ankuhner für sich in Anspruch nehmen, dass er den beamteten Scharfrichter Bolze beherbergte, während von einem zum Scharfrichter gestempelten Abdeckereibesitzers, noch heute eine Straßenbenennung zeugt.

Forstrat Nauke mit seinem Dreirad

„Forstrat Nauke“ und die Ankuhner Jagdgeschichten Von Jürgen Ludwig

1. Episode


Was die Suppe ohne Salz,
was das Bier ohne Malz,
was Blasmusik ist ohne Pauke,
das ist eine Treibjagd ohne Nauke.

Die Stadt Zerbst mit seiner kleinen Vorstadt Ankuhn verfügt auch über eine Anzahl Bürger, die uns als „Originale“ überliefert sind.

Im Alter von 86 Jahren verstarb im Jahre 1947 der Zerbster Bürger Max Meinecke. Dieser Name ist heute und auch zu seinen Lebzeiten wenig bekannt gewesen. Aber wohl an die 50 Jahre lang kannte jedes Zerbster Kind den „Forstrat Nauke“. Er war für jedermann innerhalb und außerhalb der Stadtmauer ein echtes Zerbster Original. In den gesellschaftlichen Verhältnissen lag es, dass er schon mit fünfzig Jahren in den Ruhestand gehen konnte und sich fortan jeden Tag als leidenschaftlicher Nimrod der Jagd widmen konnte. Seine Frau unterhielt auf der Schleibank bis zum Jahre 1945 ein kleines Textil- und Kurzwarengeschäft. In einem alten Fachwerkbau gegenüber der Ecke Salzstraße/Schleibank kündete ein Rothirschgeweih auf einem nachgebildeten Hirschhaupt vom Wohnsitz des Forstrats Nauke. Viele Ursachen haben die Qualität des Jägersmann begründet. An erster Stelle ist jedoch sein, zumindest in der Stadt Zerbst, einmaliges Stahlross zu nennen. Obwohl Forstrat Nauke 86 Jahre alt wurde und im Sommer und im Winter tagein und tagaus seinen Drahtesel benutzte, so hat er doch nie gelernt, ein Zweirad zu beherrschen. Was also blieb übrig? Ein Dreirad!

Dieses grün angestrichene Rad hat Jahrzehnte treue Dienste geleistet. In den ersten Jahren mit Vollgummireifen, später luftbereift. Wie viele Tausend Fahrräder war es mit einem Gepäckständer, einen Spatenhalter, einer Schoßkelle, einer Lichtanlage mit Karbid und einer Klingel ausgerüstet.

Aber es hatte wie ein riesiges Kinderspielzeug drei Räder.

Nachweis über erlegtes Wild

2. Episode

Zu Lebzeiten des Forstrat Nauke hatte er mit den Zerbster Jägern Burmester, Zähle und er (Meinecke) die 5. Jagd, die Ankuhner/Dadewitzer gepachtet. Diese wurde einmal durch die B 184 und zum anderen durch den Verlauf der Lindauer Nuthe vom Ankuhn über die Ketschauer Mühle, Blumenmühle, Buschmühle bis kurz Strinum begrenzt. Für junge und ältere Bürger war es ein vertrauter Anblick, wenn er so nach der Mittagszeit – er war ein Spätaufsteher – mit seinem Dreirad die Heide heraufradelte. Durch das Heidetor ging die Fahrt den Wallgrund entlang über den Tobaksweg in Richtung Zauberwald.

Der Alte wurde fuchsteufelswild, wenn ihm die Frauen oder Kinder – und die hatten daran einen Heidenspaß – die Worte nachriefen: „Nauke, viel Glück auf der Jagd!“ Aber jedes Fältchen seines verwetterten Gesichtes schmunzelte mit, wenn man ihm „Weidmannsheil“ oder Hals- und Beinbruch wünschte. Dann brummte er vor sich hin und murmelte: „Weidmanns Dank!“

Viele Anekdoten wurden von ihm erzählt. So fürchtete er sich nicht mit seinem Dreirad vor langen Wegstrecken. Eines Tages wurde er zur Jagd nach Steckby eingeladen. Erst hinter Bias, dort wo die Straße den Teich umrundet, merkte Nauke, dass er in Zerbst die falsche Ausfahrtstraße erwischt hatte. So wendete er sein Dreirad, radelte nach Zerbst zurück und kam dann, wenn auch verspätet, noch in Steckby an.

„Tante Lieschen“ und ihr außergewöhnliches Gewerbe
von Jürgen Ludwig und Helmut Hehne

Es ist die Lebensgeschichte einer der weniger wohlhabenden Menschen in unserer Zeit.
Es war in den Kriegs- und Nachkriegsjahren üblich und an der Tagesordnung, dass in städtisch und ackerbürgerlichen Haushalten, wie im Ankuhn und anderen Straßen,
Magdeburger Straße, Wolfs- oder Mühlenbrücke, Bahnhofstraße oder in der Amtsmühlensiedlung eine kleine Tierhaltung zu betreiben.
Wo es die Voraussetzungen zuließen, gab es neben dem Federvieh und der Kaninchenzucht, auch ein Mastschwein zur Hausschlachtung zu halten.
Das tägliche Futter kam aus dem eigenen und den benachbarten Haushalten. Bei Bedarf aber wurde auch noch Futter zugekauft. Eine wichtige Futterquelle war jeweils im Herbst das „Kartoffel- oder Rübenstoppeln“.
Als Ferkel vom Zerbster Ferkelmarkt auf dem Fischmarkt gekauft, sollte das Schlachteschwein, vorwiegend im Spätherbst oder in den Wintermonaten so um die drei Zentner auf die Waage bringen.
In der Stadt Zerbst war es nicht unüblich die Dienstleistung des städtischen Schlachthofes in Anspruch zu nehmen.
Das Hausschlachteschwein wurde angeliefert, nach Tötung gebrüht und abgesengt und als „Schweinehälften“ zur weiteren Verarbeitung durch den „Hausschlächter“, wieder dem Besitzer ins Haus gebracht.

Lieschen Giese bei der Arbeit mit Hunden

Foto privat

Doch wer brachte dann das Schwein zum Schlachthof in der Käsperstraße und wieder zurück, damit Brat-, Rot-, oder Leberwurst, Zerbster Bregenwurst, Schinken, Speck und Pökelfleisch hergestellt werden konnte?
Genau damit begann das kleine Gewerbe von „Tante Lieschen“, die damit einen Teil ihres Lebensunterhaltes dazu verdiente. Ihre Persönlichkeit sollte, weil zumindest einmalig in Zerbst, näher gewürdigt werden.
In Kühren bei Aken wird sie am 27. Februar 1903 als 4. Kind von 7 Geschwistern der Familie Behrendt geboren. Ihre Eltern erwarben im Jahre 1907 einen Bauernhof in Wertlau – Kreis Zerbst. Die Familie bewirtschaftete dort 180 Morgen (45 Hektar) Acker- und Grünland mit dem dazu gehörenden Tierbestand.
Dass der Bauernfamilie eine schwere Zeit bevorstand, war ihnen damals nicht bewusst. Die Mutter überlebte nicht die Geburt ihres letzten Kindes. Alle 7 Geschwister müssten sich weitgehend selber gegenseitig erziehen. Schon im Kindesalter musste jeder im Haushalt, auf dem Acker oder im Stall mit zufassen.
Ganz gewiss lagen hier bereits die Wurzeln einer fleißigen immer einfachen und genügsamen Lebensweise der Elisabeth Giese. Sie heiratete erst spät den Zerbster Ernst Giese, der als Fleischer im Schlachthof beschäftigt war und sich durch Hausschlachten ein Wenig dazu verdiente.
Ihr beider bescheidenes Wohngrundstück war am Großen Wall Nr.60 der Vorstadt Ankuhn. Zum Wohnhaus gehörten kleine Stallanlagen und ein „Hausplan“ (Acker).
Mit dem Pferd und mit der Kuh, einigen Morgen Acker- und Grünland lebte die Familie mehr schlecht als recht von dem hart erarbeiteten Familieneinkommen. Ihre Tochter wurde im Jahre 1934 geboren.
Ihr Mann Ernst Giese kam aus dem Kriege nicht zurück und „Lieschen“ musste sich als Witfrau einen hinzu Verdienst schaffen. So verwirklichte sie ihr des Eingangs beschriebenes kleines Gewerbe. Dazu war zuerst die Herstellung und Anschaffung eines stabilen größeren Hundewagens erforderlich. Dieses Fahrzeug, mit jeweils zwei treuen Hunden, begründet ihre Einmaligkeit und Originalität.

Lieschen Giese bringt das geschlachtete Schwein zu

Foto privat

Der Wagen war kleiner als ein Ponywagen, aber größer als ein herkömmlicher Handwagen. Es war der minimale Nachbau eines überall anzutreffenden holzbereiften Ackerwagens.
Über die Holzwände wölbte sich ein weitmaschiges handgeknüpftes Netz aus Sisal, welches der Seilermeister Emil Hand aus der Breiten Straße gefertigt hatte.
So war jeder Fluchtversuch des Tieres vom Wagen ausgeschlossen. Beiderseits der Deichsel waren zwei starke Hunde mit angespannt, welche dann im Ledergeschirr die anhängende Last mit zogen.
Noch bis zum Jahre 1970 etwa stand „Tante Lieschen“ an der Eingangstür zum Schlachthof. Erst wenn die gewerbliche Schlachtung beendet, war sie stets die Letzte in der Warteschlange.
So hatte sie überwiegend in der kälteren Jahreszeit, warm bekleidet, ihre Fracht gefahren.
Einem wärmenden und spendierten Schnäpschen war sie zugetan. Denn auch das gehörte zum „Schlachtefest“. So hat sie noch bis weit über ihr Rentenalter „gescharrwerkt“.
Im 87. Lebensjahr hat sie den Schritt von der Gegenwart in die Vergangenheit getan und wurde im altmärkischen Göllensdorf, dem Wohnort ihrer Tochter beigesetzt.
Ein fleißiger und ehrlicher Mensch fand seine Ruhe.

Heine