Zerbster Geschichten
Das " 500 - Personen - Karpfenessen"
Viele Zerbster Vereine feierten ihre Feste und Jubiläen immer in ihren angestammten Vereinslokalen. Wenn allerdings jedoch ein großes Essen stattfinden sollte, dann mußte man in ein größeres Lokal umziehen, also da hingehen, wo ein entsprechend großer Saal vorhanden war.
So geschah es auch einmal Ende der dreißiger Jahre in Zerbst, in der Gaststätte „Zum goldenen Anker“, Breite Straße 12.
Leider wurde dieses schöne Lokal auch im April 1945 mit zerstört. Inhaber der Lokalität war zu dieser Zeit der Gastwirt Albert Hesse.
Von dem Zerbster Verein „Germania“ wurde die Aufgabe gestellt, ein „Karpfenessen in Blau“ für 500 Personen auszurichten.
Das war schon einmal eine gewaltige Aufgabe bei der damaligen Küchenausstattung.
Der Zerbster Gastwirt ging nun mit seinem Sohn Kurt Hesse an die Vorbereitungen, die umfangreichen Arbeiten begannen.
Zum bestellten Termin wurden 25 Kellner aus dem ganzen Anhaltland herbeigerufen und für einen Tag in Zerbst beschäftigt.
Ein extra angemieteter Fischkoch aus einem der ersten Hotels Magdeburgs, nahm ebenfalls seine Arbeit auf.
Fischkessel mit Kohlefeuerung für eine Außenaufstellung wurden angemietet, denn sie machten eine schnelle und kurze Zubereitungszeit möglich.
Der Küchenchef hatte alles soweit im Griff.
Viele Hände regten sich in der Küche, vor allem an den Herden, denn man brauchte ja auch noch Kartoffeln und was sonst noch dazu gehört. Eine entsprechende Speisekarte wurde aufgestellt.
Für eine Person war kalkuliert: eine Vorsuppe, je 5/4 Pfund Rohgewicht Fisch, geriebener Meerrettich, zerlassene Butter in Saucieren für jede Tafel. Wo die dazu erforderlichen Lebensmittelkarten dazu herkamen, bleibt ein Geheimnis bis zum heutigen Tag.
Für je zwei Personen eine Flasche Weißwein von „Klappenschmidt“, denn zum weißen Fleisch gehört ein weißer Wein. Anschließend für die Damen Eis der Sorte „Fürst Pückler“ und für die Herren zwei Stück halbe Käsebrötchen mit natürlich einem Glas Bier zum Nachtisch. Na dann mal „Guten Appetit“!
Das ganze Menü kostete pro Person 2,75 Mark, einschließlich der angefallenen Bedienungskosten. Diese bewegten sich bei 25 Pfennigen.
Die Endabrechnung ergab genau 495 Personen und die gesamte Abfertigung dauerte 60 Minuten.
Aber Seniorchef und Juniorchef Hesse rannten weiter durch ihr Lokal. Das große Essen begann pünktlich um 15.00 Uhr.
Gegen 18.00 Uhr war der gesamte Saal wieder abgeräumt und neu eingedeckt.
Viele der Gäste versorgten schnell zu Hause ihre Viehwirtschaft.
Um 19.00 Uhr war es dann soweit, es startete der große Ball des in Zerbst beheimateten Vereins „Germania“ mit rund 850 Gästen.
Im großen „Odeonsaal“ der Gaststätte „Zum goldenen Anker“ mit Barbetrieb gingen die Vergnügungen bis zum frühen Morgen.
Leistungen von Zerbster Gastronomen, die heute nicht so leicht zu übertreffen sind.
Erzählt vom Zerbster Gastwirt Kurt Hesse, aufgeschrieben von Helmut Hehne,
Zerbst, den 1.12.1997
Liep und Grey – die Weltfirma!
In Zerbst arbeitete treu sorgend für die Zerbster das Speditionsunternehmen Gustav Grey auf der Breite. Er betreute nicht nur Umzüge in der Stadt, die Firma war auch als Bahnspediteur tätig.
Zu seinem Mitarbeiterstab gehörte auch der Kutscher Walter Liepe.
Wenn die tägliche Arbeit erledigt war, wurde die blaue Kutscherschürze mit einem Zippel diagonal zur anderen Seite gelegt, als äußerliche Zeichen dass es nun Feierabend wäre.
Dann nach einiger Zeit in der Kneipe hörte man ständig die tiefe durchdringende Stimme: „ Liep und Grey die Weltfirma! – „Liep und Grey die Weltfirma!“. So ging das Gegröle den ganzen Abend.
Der Strunk
So nannten ihn die Schüler der Volksschule 1 in Zerbst, den Oberlehrer Hildebrandt.
Er hatte die an sich freundliche Angewohnheit, besonders in den unteren Klassen, während des Unterrichts den Gang zwischen den Bankreihen hindurch zu gehen und den dabei den an den Rand sitzenden Schülern liebevoll über die Köpfe zu streicheln. Kam er dabei an einen Knaben, dessen Haare stark mit „Pomade“ eingefettet waren, so wischte er beim nächsten Schüler seine Hand wieder ab. Der wunderte sich nun warum er nach „Pomade“ roch.
Klump met Born (Kartoffelklöße mit Birnen)
Wie noch allgemein bekannt ist, führ in früherer Zeit ein Leichenwagen, mit Glasscheiben besetzt, von der Wohnung des Verstorbenen zum Friedhof.
Oft lief die Trauergesellschaft mit einer Blaskapelle hinterher.
Die Kapelle spielte dann sehr oft die Melodie „Fern der Heimat...!“ Nach dem jeweiligen ersten Notensatz, machte der Trommler drei Mal bum, bum, bum!
Immer wenn wir als Jungen den Trauerzug sahen, sangen wir mit der Kapelle mit:
„Was hatte heute noch gegessen – (Trommel) Klump met Born, Klump met Born, Klump met Born!“
Der zerstreute Professor
Lehrer Hammer ließ beim damaligen Hofschneider Natho, Später der Uniformschneider Karnbach, auf dem Markt seine Garderobe arbeiten. Das Haus hatte zu der Zeit rechts neben der Haustür noch ein Fenster, hinter dessen der Meister seine Zuschneiderei hatte. Professor Hammer steuerte eines Tages, mit dem üblichen Regenschirm bewaffnet, aus der Brüderstraße kommend, etwas zu schräg über den Marktplatz und ist wieder im Gedanken wo anders.
Die gegenüberliegende Seite erreicht, klopfte er mit seinem Regenschirm an das vermeintliche Fenster seines Hofschneidermeisters. Als er bemerkt, dass sich die Gardine bewegte, drohte er jovial mit dem antiken Schirm und ruft: „Was haben sie den mit meiner Hosenklappe gemacht?“
Darauf hätte wohl sein Hofschneider Natho eine Antwort geben können, nicht aber Fräulein Pudicke, die nämlich ein Haus weiter links von Natho wohnte und gerade am Fenster saß. Darauf konnte ein Fräulein wirklich nicht antworten.
Was sagt denn da die Geistlichkeit?
Natürlich wie in allen Berufen hat es auch bei der Geistlichkeit der Stadt Zerbst die so genannten Originale gegeben. Gab es vor langer Zeit einen Pastor, zweifellos tüchtig in der Seelsorge seiner Gemeinde und allzeit ein freundlicher Helfer. Er viel manchmal bei seinen Predigten von einem Extrem ins andere. So begann er vor einer großen Zuhörerschaft von hunderten Leidtragenden seine Grabrede mit den Worten: „Da liegst du nun du guter Otto!“ Ein andres Mal begann er bei der Beerdigung einer Familie Kümmel: „Wieder einmal hat es Gott dem Herrn gefallen, einen kleinen Kümmel zu sich zu nehmen!“
Als ihm einmal am offenen Grabe eines Erwachsenen durch einen Windstoß sein Redekonzept entrissen wurde und in die Grube fiel, rief er aus: „Da, du Verblichener, lies es dir selber durch!“
„Ein gutmütiger Schutzmann“
von Kurt Weste
Es war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, da erhielt ein Schutzmann den Befehl, einen wegen Diebstahls verurteilten per Eisenbahn von Zerbst in das nicht weit entfernte Magdeburg ins Gefängnis zu überführen.
Auf dem Weg zum Bahnhof kamen sie an einer Bäckerei vorüber, die die Zerbster liebevoll „Törtchen“ nannten. Ein appetitlicher Duft frischer Brötchen wehte ihnen entgegen und ließ dem Verurteilten das Wasser im Mund zusammen laufen. Wehmütig dachte der an die brötchenlose Gefängniszeit, die ihn jetzt erwartete.
Als er in seiner Hosentasche noch einige Geldstücke verspürte, nahm er allen seinen Mut zusammen und sagte zu seinem uniformierten Begleiter: „Herr Wachtmeister, darf ich mir hier noch ein paar Brötchen kaufen? Wer weiß, wann ich mal wieder welche kriege.“ Der Wachtmeister überlegte kurz und sagte: „Meinetwegen. Aber ganz schnell. Wir haben wenig Zeit. Der Zug wartet nicht.
Der Verurteilte ging hinein und der Polizist wartete draußen, zwei Minuten, drei Minuten. Dann eilte er ungeduldig in den Laden. Ihm stockte der Atem – der listige Schlingel hatte durch die Hintertür längst das Weite gesucht. Der Flüchtige erfreute sich nicht lange seiner Freiheit, man fing ihn bald wieder ein.
Der Zufall wollte es, dass derselbe Schutzmann wiederum mit der Überführung des Missetäters beauftragt wurde. Unterwegs duftete es an der Bäckerei „Törtchen“ wiederum nach leckeren Brötchen. Und wieder fragte der Bösewicht, ob er sich noch ein paar Brötchen kaufen dürfe. „Du Halunke“, herrscht ihn der Polizist an, „damit du noch einmal auskneifen kannst! Nein! Das kommt gar nicht in Frage.“ Im Grunde seines Herzens war der Polizist jedoch recht gutmütig, und meinte darauf „gib mal deine Pfennige her! Ich hole dir die Brötchen!“ Mit erhobenen Zeigefinger drohend meinte er hinzu: „Du bleibst derweile vor dem Schaufenster stehen, so dass ich dich sehe. Und rühre dich ja nicht von der Stelle!“
Er erhielt das Geld, verschwand hinter der Ladentür und verlor, als er mit der Bäckersfrau sprach, für einige Augenblicke das Schaufenster aus den Augen. Der Delinquent, der durch die Glasscheibe den Polizisten beobachtete, vergaß schnell seinen Appetit auf frische Brötchen. Er warf einen letzten Blick in den Laden, dann rannte er um die Ecke – und fort war er! Natürlich verlief auch die erneute Suche nach dem Ausreißer erfolgreich. Derselbe Schutzmann soll allerdings nicht wieder mit dessen Überführung ins Magdeburger Gefängnis betraut worden sein.