Das ehemalige Zerbster Rathaus
Das Rathaus zu Zerbst
Ein Beitrag zu Kunstgeschichte des Herzogtums Anhalt
herausgegeben von Robert Schmidt - geprüften Architekten und Bauschuldirektor
"Über das alte Zerbster Rathaus, welches in der Kunstgeschichte Deutschlands einen ehrenvollen Platz einnimmt - mag es auch nicht in jedem Werke über deutsche Baukunst eine entsprechende Würdigung finden - sind bisher so wenige günstige bildliche Darstellungen veröffentlicht worden, dass eine richtige Beurteilung dieses ehrwürdigen Bauwerkes mit seinen hochinteressanten spätgothischen Terracotta Giebeln ausgeschlossen erschien."
"Bei dem Rathause zu Zerbst dürften nun nicht allein die älteren, sondern auch die neuen Bauteile eine Reihe schöner Details dem Kunstfreunde, sowie dem Studierenden der Baukunst, nicht minder aber dem schaffenden Künstler einen reichen und brauchbaren Motivschatz bieten."
Das Rathaus im Kern alt, dann mehrfach umgebaut und zuletzt nach einem verheerenden Brande 1891/92 mit der etwas überladenen Neurenaissancefassade versehen.
Aus der älteren Zeit, nämlich 1470 und 1481, flammen die beiden schönen Backsteingiebel im Osten und Westen. Durch schlank aufstrebende Pfeiler aus geschnittenen Backsteinen in Zwischenfelder geteilt, war Gelegenheit gegeben alle möglichen spätgotischen Zierformen hier anzubringen. Dazwischen stehen teils kleine Terrakottafiguren, teils sind Zierwappen angebracht.
Am Westgiebel erkenn wir dann auf vie Relieftafeln Darstellungen aus dem alten Testament und der Heiligenlegende: Goldenes Kalb, Urteil Salomons, heiliger Martin und heiliger Georg.
Das Urteil des König Salomo
Zwei Frauen, die in schlechtem Ruf standen, lebten im gleichen Hause und in der gemeinsamen Wohnung.
Die eine von ihnen gebar im Beisein der anderen ein Kind. Am dritten Tage nach ihrer Niederkunft brachte auch die andere ein Kind zur Welt.
Sie waren allein, kein anderer Mensch war mit ihnen im Haus.
Eines Nachts, als die eine sich im Schlaf unruhig im Bett drehte, erdrückte sie dabei ihr Kind; es starb.
Mitten in der Nacht erwachte sie und merkte, dass es tot war.
Leise erhob sie sich, holte heimlich das Kind der anderen von deren Seite weg, während diese tief schlief, und legte es zu sich;
ihr Kind aber, das tote, legte sie ins Bett der Schlafenden.
Als diese sich später erhob, um ihr Kind zu stillen, schrie sie entsetzt: „Es ist tot!“
Am Morgen aber, als sie den Leichnam genau betrachten konnte, rief sie aus: „Das ist nicht mein Kind. Dieses habe ich nicht geboren!“
„Wie soll das nicht dein Kind sein? Es liegt doch bei dir!“, verteidigte sich die andere und hielt das lebende Kind nur umso fester im Arm.
Ein Wort ergab das andere; ein heftiger Streit brach aus, den niemand zu schlichten wusste. Zeugen in dieser Sache gab es auch nicht.
Deshalb suchten sie den König Salomo auf.
Salomo war der weiseste König, den das Volk Israel je hatte.
Seine Weisheit war größer als die Weisheit aller Herrscher des Ostens; weiser war er als alle Menschheit; sein Name war unter allen Nationen ringsum gerühmt.
Er verfasste dreitausend Sprichwörter, und die Zahl seiner Lieder betrug tausendundfünf.
Er vermochte über die Bäume zu reden, ferner über das Vieh, die Vögel, das Gewürm und die Fische.
Aus allen Völkern kamen Menschen, seine Weisheit zu hören, Abgesandte von allen Königen der Erde, die von seiner Weisheit vernommen hatten.
Das Relief
in Terracotta dargestellt befand sich im ehemaligen Rathausgiebel - Ostseite. Das zweite war "Der Tanz um das goldene Flies!
Als die Frauen zu Salomo vorgelassen wurden, saß er auf einem großen, elfenbeinernen Stuhl, der überzogen war mit gediegenem Gold. Sechs Stufen führten zum Thron hinauf. An seiner Rückseite war der Kopf eines Jungstiers zu sehen, und an beiden Seiten hatte der Sitz Armlehnen, neben denen zwei aus Holz geschnitzte Löwen standen. Zwölf Löwen standen rechts und links auf den sechs Stufen.
Kaum hatte die erste begonnen, dem König ihre Klage vorzutragen, da fiel ihr die andere ins Wort: „Nein, König Salomo! Sie lügt, das lebende ist mein Kind, und das tote ist ihr Kind!“ Die erste wiederum: „Nein! Ich sage die Wahrheit. Du lügst! Das ist dein Kind, und das lebende ist mein Kind!“
Mit ernster Miene setzte sich König Salomo wieder und begann nachzudenken. Totenstill war es im Thronsaal. Schließlich wandte er sich seinen Dienern zu und rief: „Holt mir ein scharfes Schwert!“ Rasch brachten sie das Schwert herbei. Der König erhob sich und befahl mit der ganzen Strenge seiner Stimme: „Haut das lebende Kind entzwei, gebt dieser die eine Hälfte und jener die andere Hälfte!“ Aber die Frau, deren Kind das lebende war, begann bitterlich zu weinen und flehte zum König, den in ihr entbrannte die mütterliche Liebe zu ihrem Kind: „Ach, mein Herr! Gebt das lebende Kindlein ihr. Aber nimmermehr dürft ihr es töten lassen!“ Die andere jedoch schrie wütend: „Was der König befohlen hat, geschehe: Weder meins noch deins soll`s werden, zerhaut es!“ Der König blieb währenddessen ganz ruhig und entschied: „Gebt jener das lebende Kindlein, die gerufen hat: Aber nimmermehr dürft ihr es töten lassen! Sie ist wirklich seine Mutter.“ Ganz Israel hörte von dem Gerichtsurteil, das der König in diesem schwierigen Streit gefällt hatte, und sie schaute mit Ehrfurcht auf ihn. Ein Beweis welcher die ganze Weisheit des Königs
bestätigt.
Rathaus zu Zerbst
Zeichnung - Detailansichten